Es gibt wenige Gegenden im Osten der Ukraine, in denen der ehemalige Maschinenbauer Valentin Kasjanow, 54, noch nicht dabei geholfen hat, Minen aus dem Boden zu holen. Ob in der Nähe von Luhansk oder Donezk oder der Hafenstadt Mariupol – überall dort war Kasjanow schon, seit er vor sieben Jahren der britischen Minenräumorganisation Halo Trust beigetreten ist. „Doch die Ergebnisse unserer jahrelangen Arbeit gingen leider verloren, seit die Russen uns überfallen haben und 2022 in vielen Gebieten der Ukraine vorgerückt sind“, sagt Kasjanow.
Den Vereinten Nationen (UN) zufolge ist die Ukraine heute das am dichtesten verminte Land der Welt. Die Untersuchungen sind wegen des laufenden Krieges, in dem beide Seiten nach wie vor Minen einsetzen, längst nicht abgeschlossen. Mindestens 139 000 Quadratkilometer des Landes – das entspricht mehr als einem Drittel der Fläche Deutschlands – halten die UN für möglicherweise vermint oder durch nicht explodierte Sprengkörper blockiert. Zehntausende Hektar Ackerland, die zum fruchtbarsten in Europa zählen, sind deshalb nicht nutzbar. Tausende Ukrainer sind den UN zufolge schon durch Minen gestorben oder wurden schwer verletzt.
Dutzende staatliche und private Minenräumorganisationen sind in der Ukraine unterwegs, um die Sprengkörper zu finden und zu beseitigen, das ist mühselig, kostet Zeit und ist gefährlich. Valentin Kasjanow und seine Kollegen gehören zum Halo Trust, den 1988 drei Engländer in Afghanistan gegründet haben. Heute führt der britische Ex-General James Cowan die Organisation, die bisweilen die Hinterlassenschaften jahrzehntelanger Kriege zu beseitigen hilft.

Es ist ein warmer Herbsttag, als Valentin Kasjanow und sein Team beim Dorf Stepowe, rund 50 Kilometer südöstlich von Charkiw, wieder einmal Minen wegräumen, wie sie es allein hier schon seit mehr als einem Jahr tun. „Bevor wir mit dem eigentlichen Räumen beginnen“, sagt Oleh Klymentschukow von der Charkiwer Abteilung von Halo Trust, „befragen wir etwa den Dorfchef oder andere Bewohner, die während einer Besatzung dageblieben waren: Wo sind Minen verlegt worden, wo ist schon eine Kuh auf eine Mine getreten, wo liegen nicht explodierte Sprengkörper?“ Allein 500 Mitarbeitende hat die Organisation hier, 1000 weitere Menschen verteilen sich auf anderen Gebiete.
Satellitenaufnahmen statt Metalldetektoren
„Das Minenräumen von 2025 hat nichts mehr mit dem zu tun, wie es etwa 2015 in Afghanistan oder hier in der Ukraine war – es ist eine hoch spezialisierte Technik geworden“, sagt Klymentschukow. Die Halo-Leute nutzen etwa hochauflösende Satellitenaufnahmen. „Und wir lassen Drohnen mit Kameras und hochempfindlichen Sensoren über Felder fliegen, die in einer halben Stunde Tausende hochauflösender Bilder aufnehmen.“ Damals tasteten sich Menschen fast ausschließlich mit Metalldetektoren in der Hand vorsichtig voran, was auch heute allerdings noch notwendig ist.
Im Lagenzentrum von Halo Trust in Browary bei Kiew analysieren dann Spezialisten, oft ehemalige Militärs, die Bilder, wobei sie auch mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Fotoauswertung experimentieren. Sollen ehemalige Stellungen von Militärs geräumt werden, wo fast jeder Quadratmeter ein metallisches Signal aussendet, setzen die Halo-Spezialisten umgebaute, gepanzerte Bagger oder Räummaschinen ein, die auch stärkeren Explosionen standhalten.
Allein beim Dorf Stepowe sind 29 Halo-Mitarbeiter beschäftigt, auch der 23 Jahre alte Artur Rijeka. Neben einem Feld steuert er, aus mindestens 50 Metern Entfernung, einen Robocut – eine ursprünglich in der Landwirtschaft verwendete, gelb lackierte gepanzerte Raupe. Ihre rotierende Metallwalze entfernt die Pflanzen auf dem Feld, dann folgen systematische Untersuchungen mit Detektoren. Auch Arturs Zwillingsbruder Timur, beide sind passionierte Fußballer und Boxer, hat bei den Minenräumern angeheuert, ebenso wie Alla Tschebotarjova, im vorigen Leben Geschichtslehrerin und Direktorin einer Schule in Charkiw.
„Am Anfang der Invasion haben sich meine Prioritäten im Leben geändert“, sagt Tschebotarjova, 46. Vor gut zwei Jahren ist sie bei Halo Trust eingestiegen, „um mein Land sicher zu machen“. Sie wolle, dass auch ihre Kinder und Enkel einmal „sicher und frei von Minen leben werden“, sagt die Mutter zweier Kindern. Ihr Mann ist als Freiwilliger im Krieg gestorben – reden möchte Alla Tschebotarjova darüber nicht.
Ein paar Hundert Meter entfernt sind Minenräumer der 48. Brigade der ukrainischen Armee dabei, ein anderes Feld zu säubern. Koordiniert wird die Arbeit der militärischen und zivilen Minenräumer in der Ukraine vom Nationalen Minen-Aktionszentrum des Verteidigungsministeriums. Auch das Wirtschaftsministerium ist beteiligt, da es vor allem auch darum geht, die ökonomisch bedeutsamen Ackerflächen wieder nutzbar zu machen.
52 000 Minen und Blindgänger auf elf Quadratkilometern
Die Halo-Leute aber gehen weiter. „Die Militärs räumen zuerst die strategisch und für die Bevölkerung wichtigsten Objekte“, sagt Valentin Kasjanow. „Wir aber räumen alles, auch das letzte Buschwerk, wenig genutzte Wege oder verlassene Höfe.“ Er schreitet einen kaum zehn Meter breiten Waldstreifen ab. Links davon liegt ein geräumtes Feld, auf dem ein Bauer gerade Winterweizen ausgesät hat, rechts eines, von dem sogar bereits wieder Sonnenblumen geerntet wurden. Auch der kleine Dorffriedhof in der Mitte des Waldstreifens kann, frei von Minen, von den Einwohnern von Stepowe wieder genutzt werden kann.
Es ist eine Sisyphosarbeit: 44 Quadratkilometer kontaminiertes Land haben die Halo-Leute untersucht, elf Quadratkilometer gesäubert und dabei 52 000 Minen und Blindgänger unschädlich gemacht. In der Region Charkiw haben sie seit 2022 rund 70 Felder gesäubert, mit steigender Tendenz angesichts verbesserter Technik. Doch auch der Feind wird besser. Russland setzt längst auch sogenannte intelligente Minen ein, die mit Sensoren auf Vibrationen reagieren und vor einer Explosion selbst zwischen Menschen und Tieren unterscheiden können. „Wenn wir wissen, dass kluge Minen eingesetzt wurden, lassen wir die Felder erst einmal zwei Jahre liegen, bis wir sicher sein können, dass die Batterien dieser Minen leergelaufen sind und keine Gefahr mehr darstellen“, so Oleh Klymentschukow.
Beim Minenräumen halten die Halo-Leute zwar einen Sicherheitsabstand von mindestens 30 Kilometern zur aktiven Front ein, doch längst fliegen russische Drohnen auch über arbeitende Räumteams hinweg, die dann sofort in Sicherheit gebracht werden müssen. Erst neulich sei in der Nähe eine abgeschossene russische Drohne explodiert. „Jeden Tag werden in der Ukraine irgendwo neue Minen verlegt“, sagt Halo-Veteran Kasjanow. „Wie auch immer es weitergeht – die Arbeit wird uns so schnell nicht ausgehen.“












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