Kommentar: Das Chrome-Dilemma

vor 2 Stunden 1

Das US-Justizministerium will Google zum Verkauf des Chrome-Browsers zwingen. Der Schritt ist einerseits vollkommen richtig und überfällig. Denn die Hoheit über den Browser zementiert Googles marktbeherrschende Stellung bei der Suche und vor allem im Werbemarkt.

Jürgen Schmidt - aka ju - ist Leiter von heise Security und Senior Fellow Security des Heise-Verlags. Von Haus aus Diplom-Physiker, arbeitet er seit über 25 Jahren bei Heise und interessiert sich auch für die Bereiche Netzwerke, Linux und Open Source. Sein aktuelles Projekt ist heise Security Pro für Sicherheitsverantwortliche in Unternehmen und Organisationen.

Damit besteht eine überaus schädliche und gefährliche Ende-zu-Ende-Kette: Google dominiert die Internetsuche und das Geschäft mit Anzeigen. Mit dem Browser hat der Konzern auch einen Agenten direkt auf den Geräten der von der Werbung anvisierten Ziele – also den Endbenutzern.

Und Google nutzt das schamlos aus, etwa indem sie die längst überfällige Ächtung von Third-Party-Cookies endlos hinauszögern. Oder indem sie Browser-interne APIs gezielt so verändern, dass Adblocker unter Chrome ihre Aufgabe nicht mehr vernünftig erledigen können. Da gibt es nichts zu diskutieren: Google missbraucht Chrome ganz offensichtlich, um das Anzeigengeschäft als seine munter sprudelnde Einnahmequelle zu schützen. Und es ist Aufgabe des Staates, dagegen etwas zu unternehmen.

Übrigens nicht nur aus wirtschaftlichen oder Verbraucherschutz-Überlegungen heraus. Googles dominante Stellung schadet auch der Security. Adblocker sind heute essenzielle Security-Tools; wer ohne surft, setzt sich einer Vielzahl von Gefahren aus. Man könnte sogar argumentieren, dass sie effizienter schützen als herkömmlicher Virenschutz.

Als Monopolist hat Google es überdies gar nicht nötig, mit der gebotenen Konsequenz gegen Malvertising – also gezielt bösartige Anzeigen – vorzugehen. Google verhinderte nicht einmal Malvertising-Kampagnen, die angeblich Googles Authenticator bewarben, letztlich aber Infostealer installierten. Gezielt geschaltete Anzeigen mit Malware sind eine der schärfsten Waffen der Angreifer und eine seit Jahren kontinuierlich wachsende Gefahr.

Das Problem, das ich mit dem erzwungenen Verkauf habe, ist jedoch: Wer soll Chrome kaufen? Ich sehe beim besten Willen kein Szenario, in dem das auch nur eines der angesprochenen Probleme entschärfen würde. Im Gegenteil: Damit sich das Investment rentiert, müsste der neue Besitzer den Browser noch mehr auf die Gewinnoptimierung ausrichten. Das geht dann zwangsläufig zulasten der Nutzer und ihrer Interessen – getreu der alten Internet-Weisheit: Wenn du nicht bezahlst, bist du nicht der Kunde, sondern die Ware!

Die gemeinnützige Mozilla-Stiftung ist auch keine Option, weil damit Chrome in einen Topf mit Firefox geriete – der letzten verbliebenen Konkurrenz im Browser-Markt. Vielleicht findet sich ja eine andere Stiftung, die in die Bresche springt. Die Apache Foundation vielleicht. Die hat zumindest Erfahrung mit großen Projekten in schwierigen Märkten.

Aber woher soll das Geld dafür kommen? Letztlich ist das Wunschdenken. Es bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten. Immerhin steht in den USA gerade ein Regierungswechsel an, der auch neue Prioritäten mit sich bringt. Wer weiß, vielleicht sogt der neue US-Präsident für eine Überraschung: Trump to the rescue?

(vbr)

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