Haus der Kunst in München: Wenn sich ein Museum für Kinder begeistert

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Das Haus der Kunst in München hat Künstler gefragt: Habt ihr jemals daran gedacht, Kunst für Kinder zu machen? Daraus wurde nun die tolle Ausstellung "Für Kinder".

20. Juli 2025, 11:09 Uhr

Haus der Kunst München Kinder
Die Rand- und Nebengeschichten der Kunst: Ausstellungsansicht von Eva Koťátkovás "Blankets, Monsters, Anna and the World" (2022–25) © David Levene/​ Haus der Kunst

Kindern wird nicht sonderlich viel Platz eingeräumt in dieser Welt. Die Politik richtet sich ans alternde Wahlvolk, und wer interessiert sich schon für Schultoiletten, Kita- oder Therapieplätze. "Unvereinbar" ist so ein Wort, das man mit Kindern verbindet, "Care-Arbeit" ein anderes. In jedem Fall: anstrengend. Kinder fassen alles an, können und wollen nicht stillsitzen. Weswegen sie auch in Museen nicht gerade gern gesehen sind. Sollen sie ihr Ding auf dem Spielplatz machen, unter sich. Es sei denn, diese Kinder leben in München. Dort, wo das Haus der Kunst den Kindern eine eigene Ausstellung widmet – um ihnen von den Rand- und Nebengeschichten der Kunst zu erzählen.

Andrea Lissoni, der Museumsleiter, und seine Kuratorinnen fragten Künstlerinnen und Künstler weltweit: Habt ihr jemals daran gedacht, Kunst für Kinder zu machen? Also nicht Kunst zum Thema Kind, sondern wirklich für sie oder sogar mit ihnen? Eine Frage, die bisher in der Kunstwelt keine große Rolle spielte, die Suche nach entsprechenden Werken dauerte zwei Jahre. Noch dazu wollten die Kuratorinnen aus München Abstand halten zur allzu simplen Assoziation: Kinder = Spielen. Weil: Kinder = viel mehr als das. Nur was genau? 

Die Ausstellung Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968 beginnt ihre Erzählung im berühmten Jahr der Umbrüche. Ende der Sechzigerjahre wurden Kinder zum mündigen Publikum und galten nicht länger nur als unfertige Erwachsene. Ihre Unberechenbarkeit und Spontaneität, ihr Hang zum Quatsch und zur Bewegung waren plötzlich erwünscht, eine Sehnsucht der Erwachsenen. In München gründeten Kunstpädagoginnen und -pädagogen die Gruppe KEKS (Kunst, Erziehung, Kybernetik, Soziologie) und machten mit Kindern Kunst und Quatsch im öffentlichen Raum. Sie trauten ihnen mehr als Spielen zu, verhandelten Themen, von denen die Großen bislang dachten, sie hätten sie exklusiv: Politik, Umwelt, Technik, Zukunft und die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Das Haus der Kunst zeigt bisher unveröffentlichtes Videomaterial der damaligen Versuche und ließ eine KEKS-Kletterinstallation aus Holz nachbauen. 

In Japan lud in den Nachkriegsjahren die Avantgarde-Gruppe Gutai Kinder und Erwachsene zum gemeinsamen Malen ein. Der Japaner Ei Arakawa-Nash reinszeniert jetzt diese Gutai-Performance im Haus der Kunst. Kinder (und Erwachsene) dürfen den heiligen Marmorboden der Mittelhalle bemalen. Nun steht da groß "FURZ", man sieht erstaunlich viele Flaggen, das unbekannte Kinderkünstlerduo A+B lässt die Welt wissen: "Alle haben Stress aber wir beide sind connect". Kunst und Quatsch, das merkt man, wenn man über den bekritzelten Marmor geht, sind eine so wichtige wie wohltuende Kombination. Und über den Quatsch, die Flaggen und Worte, senden Kinder Botschaften. 

Dass nicht alle stressfrei und connect sind, dass Kindheit keinesfalls Sorglosigkeit bedeutet, wird in der Ausstellung nicht pädagogisch betont oder gar kitschig überbetont, es ist ein selbstverständlicher Teil der Annäherung. Ängste, Traumata, Gefühle der Ohnmacht und des Scheiterns (eine Tischtennisplatte voller Hindernisse) haben genauso Platz wie Traumlandschaften und eine Skulptur zum Skaten. 

Kunst und Quatsch sind eine so wichtige wie wohltuende Kombination: "Mega Please Draw Freely" (2021) von Ei Arakawa-Nash © Brotherton-Lock

Besonders rührend und lustig (das ist ja das Tolle an Kindern, dass sie so lustig sind!) erzählt die Brasilianerin Rivane Neuenschwander von den unterschiedlichen Realitäten der Kinder weltweit. Sie fragte Kinder in Workshops nach ihren Ängsten, ließ sie malen und entwarf mit ihnen zusammen, unterstützt von zwei Designern, große, bunte, mächtige Umhänge. 26 davon zeigt jetzt das Haus der Kunst. Sie schützen vor den Ängsten, die die Kinder gemalt hatten. Ängste wie: Kirche/Eltern verlieren/Würmer (ja, alles in einem Umhang!), Trennung/Nichts, Coronavirus/Krieg oder auch Tomaten/Salat/Streit oder Magen-Darm-Grippe/Atomkraftwerke. 

Das Unvorhersehbare der Kunst und die Unvoreingenommenheit der Kinder, sie treffen hier zusammen, als könnte es nicht anders sein. Als hätten sie schon immer zusammengehört und müssten auch zusammenbleiben. Die Verspieltheit, die Neugier, der vertrauende Ernst, die Rasanz, das darf nicht vorbei sein, nur weil schon die nächste große Künstlerin, der nächste wichtige Künstler gezeigt werden soll. Es kann nicht darum gehen, die Kinder fürs Museum zu begeistern. Umgekehrt muss es sein, ganz dringend.

Die Ausstellung "Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968" läuft noch bis 1. Februar 2026 im Haus der Kunst in München.

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