Gazastreifen: Offenbar erneut Dutzende Tote rund um Hilfsgüterlieferung

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Bei der Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen ist es offenbar erneut zu grausamen Szenen gekommen. Wie die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums und lokaler Krankenhäuser berichtet, wurden allein im Norden des Küstenstreifens 67 Palästinenser getötet, insgesamt sollen 73 Menschen zu Tode gekommen sein.

Die Zahl der Toten wurde im Laufe des Tages mehrfach nach oben korrigiert. Den Kliniken zufolge sollen rund 150 weitere Menschen verletzt worden sein. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die Gewalt war den Berichten zufolge in der Nähe des nördlichen Grenzübergangs Sikim eskaliert, als eine Menschengruppe dort versucht hatte, an eine neue Lieferung mit Hilfsgütern zu gelangen. Laut AP war zunächst unklar, ob israelische Soldaten oder bewaffnete Gruppen oder womöglich beide das Feuer auf Hilfsbedürftige eröffnet hatten.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete von israelischem Beschuss im Norden des Gazastreifens. Die Opfer seien unbewaffnet gewesen, hieß es unter Berufung auf Augenzeugen. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Von der israelischen Armee gab es zu den Vorfällen auf Anfrage zunächst keine Informationen. Entsprechende Berichte würden geprüft, hieß es.

In den vergangenen Wochen hatte es an Verteilzentren der umstrittenen Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) immer wieder Tote gegeben. Die GHF wird von Israel und den USA unterstützt und privat geführt. Beobachter kritisieren unter anderem, dass die Stiftung zu wenige Verteilzentren betreibe und dass Menschen dort und auf dem Weg dahin großen Gefahren ausgesetzt seien.

Uno geht von über 800 Toten an Verteilzentren aus

Die Uno ging in einem Bericht zuletzt von über 800 Toten in der Nähe von Verteilzentren im Gazastreifen aus. Die meisten von ihnen wurden erschossen, heißt es in dem Report.  Erst am Samstag hatte der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz im Gazastreifen von 26 Toten infolge israelischer Angriffe in der Nähe zweier Verteilungszentren für Hilfsgüter berichtet.

Augenzeugenberichten zufolge schießen israelische Soldaten immer wieder auf Hilfesuchende. Die israelische Zeitung »Haaretz« hatte in einer aufsehenerregenden Recherche mit Soldaten gesprochen, die aussagten, dass sie den Befehl bekommen hätten, auf unbewaffnete Zivilisten nahe den Ausgabestellen zu feuern. Einer bezeichnete das Gebiet als »killing field«. Ein anderer Soldat beschrieb die Situation »als einen völligen Zusammenbruch der ethischen Grundsätze der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen«.

Die israelische Armee macht dagegen die Hamas für die Schüsse auf Zivilisten in der Umgebung der GHF-Verteilzentren verantwortlich. Die Schüsse am Samstag wurden einer Erklärung zufolge in einer Entfernung von etwa einem Kilometer von der Verteilstelle nahe Rafah abgegeben, »und zwar nachts, wenn diese nicht aktiv ist«.

Die Vereinten Nationen und große Hilfsorganisationen verweigern die Kooperation mit der Stiftung seit jeher. Sie werfen ihr vor, sich nach den Plänen der israelischen Armee auszurichten und damit gegen grundlegende humanitäre Prinzipien zu verstoßen.

Bundesregierung beschreibt Lage im Gazastreifen als unerträglich

Die Bundesregierung beschreibt die humanitäre Lage im Gazastreifen als unerträglich. »Das Leiden der Menschen muss gelindert und die humanitäre Lage auf eine Weise verbessert werden, die mit den humanitären Prinzipien und dem humanitären Völkerrecht voll vereinbar ist«, heißt es in einer Antwort des Auswärtigen Amts auf Fragen der Grünen-Bundestagsfraktion. Das Schreiben liegt dem SPIEGEL vor. 

Maßgeblich verbessert hat sich die humanitäre Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet durch die GHF-Aktionen offenbar noch immer nicht. Palästinensische Gesundheitsbehörden und die Uno warnten erneut vor einer sich verschärfenden Hungersnot. »Hunderte Menschen, deren Körper ausgezehrt sind, sind aufgrund des Hungers vom baldigen Tod bedroht«, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit.

Israel geht indes weiter militärisch im Gazastreifen vor. Am Sonntag gaben die Streitkräfte Evakuierungsanordnungen für die Stadt Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens aus. Die Armee gehe in der Region weiterhin gegen Terrororganisationen vor und dehne nun »ihre Aktivitäten auf neue Gebiete aus«, heißt es in der Mitteilung eines Armeesprechers, die auch in arabischer Sprache veröffentlicht wurde. Dort sei das Militär bislang nicht im Einsatz gewesen. Die »Times of Israel« sprach von den ersten Bodeneinsätzen in der Gegend seit Beginn des Gazakriegs.

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