Friedrichs-Preis für von der Tann: Dämonisierung oder Diffamierung?

vor 2 Tage 6

Die Kontroverse um die Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrich-Preises an die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann hält an. Die Journalistin erfährt für ihre Berichterstattung über den Gazakonflikt Kritik, aber auch Unterstützung.

„Das junge ARD-Gesicht der Parole ,Free Palestine from German ­Guilt‘“

Die Autorin und frühere leitende ARD-Redakteurin Esther Schapira erklärte in der F.A.Z., warum sie die Arbeit der Korrespondentin für nicht preiswürdig hält. Sie sei geprägt von einer einseitig negativen Sichtweise auf Israel und einer Verharmlosung der Terrororganisation Hamas. Sophie von der Tann stehe stellvertretend für die verzerrende ­Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen, sie sei „das junge ARD-Gesicht der Parole ,Free Palestine from German ­Guilt‘.“ Antisemitische Narrative, so Esther Schapiras generelle Feststellung zu ARD und ZDF, gerade im Gewand der „Israelkritik“, würden nicht mehr analysiert, sondern perpetuiert. Die Folgen für das jüdische Leben in Deutschland seien gravierend. Eine Untersuchung der öffentlich-rechtlichen Medien nach dem Vorbild der britischen BBC sei dringend geboten.

Zwölf Initiativen haben sich mit dem Ansinnen gemeldet, die Preisverleihung auszusetzen und Programmbeschwerden beim Bayerischen und beim Norddeutschen Rundfunk eingereicht. Sie wollen am Donnerstagnachmittag während der Preisverleihung eine Mahnwache vor dem Funkhaus des WDR in Köln abhalten. Der Verband jüdischer Journalistinnen und Journalisten „bedauert“ die Preisverleihung ebenfalls. Man vermisse „vielfach“ die dem Namensgeber des Preises zugeschriebene faire Unparteilichkeit „in der Nahost-Berichterstattung der ARD im Allgemeinen und den Beiträgen von Frau von der Tann im Besonderen“.

Verteidigung einer „einmütig“ getroffenen Jury-Entscheidung

An die Stelle „multidimensionaler, facettenreicher“ Beiträge träten „wiederkehrende Erzählmuster, die sich darauf beschränken, Israel als Aggressor darzustellen“. Israelische Verlautbarungen würden „als möglicherweise unwahr“ gekennzeichnet, „Angaben der Hamas oder ihr nahestehender Akteure“ hingegen würden „ohne gleichermaßen wertende Distanzierung übernommen“. In der Preisbegründung werde Sophie von der Tann für ihre Parteilichkeit auch noch gelobt, es werde unterstellt, es sei „für eine deutsche Journalistin nicht leicht, Israel zu kritisieren“. Dabei bewiesen „ihre eigene Berichterstattung, ein kurzer Blick in die deutsche Medienlandschaft und auf Social Media das Gegenteil“.

Den israelischen Botschafter Ron Prosor als „wirkmächtig“ zu beschreiben, ohne die „Wirkmacht“ zu konkretisieren, wie es die Verleiher des Friedrichs-Preises täten, erscheine als „Dämonisierung“. Ohne weitere Belege von „,brutalen‘, orchestrierten ,Reaktionswellen‘ in sozialen Medien“ zu sprechen, komme „Stereotypen einer verschwörerisch agierenden jüdischen Lobby, die über geheime Macht verfüge, gefährlich nah“.

Der frühere ZDF-Moderator Claus Kleber wies die Kritik an der Preisvergabe im Gespräch mit der F.A.Z. als „völlig unbegründet“ zurück. Man habe sich, so Kleber, mit von der Tanns Arbeit intensiv beschäftigt und wolle ihr angesichts der Kritik signalisieren, dass sie bei vielen in hohem Ansehen stehe. Die Entscheidung habe die Jury „einmütig“ getroffen, es sei „nicht daran zu denken“, die Preisverleihung auszusetzen.

BR: „Wir betreiben unabhängigen Journalismus“

Der Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks, Thomas Hinrichs, wendete sich ebenfalls gegen die Kritik. „Wir betreiben unabhängigen Journalismus im permanenten Bewusstsein unserer Verantwortung“, so Hinrichs. „Die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen unter schwierigen Bedingungen wird gelobt und kritisiert. Damit setzen wir uns auseinander. Diffamierungen allerdings untergraben den demokratischen Diskurs und verhindern eine konstruktive Diskussion. Dem treten wir entschieden entgegen.“

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) teilte mit, man zeige sich „solidarisch mit der ARD-Nahost-Korrespondentin Sophie von der Tann“. Sie sehe sich „einem Shitstorm gegenüber, der sich nicht auf Social Media beschränkt“. Vertreter des israelischen Staates wie der Reserve-Armeesprecher Arye Shalicar oder der Botschafter Ron Prosor griffen sie auf unziemliche Weise an.

„Selbstverständlich“ dürfe journalistische Arbeit „sachlich kritisiert werden“. Diffamierten Vertreter eines Staates jedoch einzelne Journalisten namentlich, werde eine Grenze überschritten, sagte die RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Solche Einschüchterungsversuche und Beleidigungen“ könnten „für das Ansehen bis hin zur Sicherheit der Betroffenen“ schwerwiegende Folgen haben. „Ziel scheint es zu sein, Medienschaffende von bestimmter Berichterstattung abzuhalten. Das ist inakzeptabel.“

Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt (der auch als Kolumnist für die F.A.Z. schreibt), sagte dem Evangelischen Pressedienst, dass er die Vorwürfe gegen Sophie von der Tann nicht für gerechtfertigt halte. Er kenne sie persönlich und schätze sie für ihre Arbeit. Was den Nahost-Konflikt angehe, ergebe sich die Situation, dass ein Teil der Menschen den Leitmedien nicht mehr glaube, weil sie zu Israel-freundlich seien, während ein anderer Teil der Überzeugung sei, sie seien zu sehr pro-palästinensisch. „Journalisten, die die schwierige Aufgabe haben, aus Nahost zu berichten, werden diese Menschen deswegen niemals komplett zufriedenstellen können“, wird Mendel zitiert.

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