French Open: Fragen und Antworten zum unvergesslichen Krimi zwischen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner

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 Atemloses Duell

Sieger Alcaraz, Gegner Sinner: Atemloses Duell

Foto: Clive Brunskill / Getty Images

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Fast fünfeinhalb Stunden duellierten sich Carlos Alcaraz und Jannik Sinner im Finale der French Open.  Es ging hin und her, Sinner sah aus wie der sichere Sieger, dann kippte das Spiel, auf der Tribüne schüttelte Andre Agassi ungläubig mit dem Kopf. Ein solches Endspiel hat die Tenniswelt wohl noch nie gesehen.

War es das größte Tennismatch der Geschichte?

Gut möglich.

Was macht ein Match historisch? Zunächst mal das, was auf dem Spiel steht.

Je wichtiger der Titel, desto glanzvoller der Sieg, desto bitterer die Niederlage. Und größeres als einen Grand-Slam-Titel hält dieser Sport nicht zu bieten. Keine Weltmeisterschaft, kein Olympia-Gold ist für das Renommee eines Tennisprofis so ausschlaggebend, wie das Abschneiden bei einem der vier großen Turniere.

Dabei spielt es keine Rolle, welches der vier man gewinnt. Wimbledon mag das traditionsreichste sein. In Australien können die Bedingungen noch herausfordernder sein als in Paris, auch bei den US Open weiß man nie, ob das Wetter oder das Publikum einem das Leben schwer machen.

Ein weiterer Punkt, der die Größe eines Spiels definiert: die Qualität des Sports.

Da haben Sinner und Alcaraz die Argumente auf ihrer Seite. Björn Borg und John McEnroe, Martina Navratilova und Chris Evert, Steffi Graf, Boris Becker, Ivan Lendl, Andre Agassi und Pete Sampras, die Williams-Schwestern. Und natürlich die großen Drei/Vier, Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic (dazu vielleicht noch Andy Murray) – sie alle haben große Finals auf Weltklasseniveau gespielt.

Dass auf beiden Seiten des Netzes jemand steht, der am Limit spielt, kommt aber selten vor. Erst recht auf dem Level, wie man es am Sonntag bewundern durfte.

Borg gegen McEnroe im Wimbledonfinale 1980, Djokovic gegen Nadal in Melbourne 2012, Federer gegen Nadal in Wimbledon 2008, Venus Williams gegen Lindsey Davenport in Wimbledon 2005: Das waren die Matches, die diesbezüglich mithalten können.

Und natürlich macht die Evolution auch vorm Tennis nicht Halt. Immer athletischer werden die Profis, das Equipment entwickelt sich weiter, das Tempo der Grundlinienduelle am Sonntag war atemberaubend. Beide können ihr Spiel variieren, sind auf allen Belägen in der Lage, Titel zu gewinnen.

Sinner und Alcaraz, das ist der neue Goldstandard.

Und auch die Dauer des Spiels war historisch. Mit 5:29 Stunden war es das längste French-Open-Finale der Geschichte, das zweitlängste Grand-Slam-Finale nach Djokovic gegen Nadal in Melbourne 2012 (5:53 Stunden).

 Das längste French-Open-Finale der Geschichte

Profi Alcaraz vor Uhr: Das längste French-Open-Finale der Geschichte

Foto: Thibault Camus / AP

Das längste Match der Geschichte war die Begegnung von John Isner gegen Nicolas Mahut 2010. 6:4, 3:6, 6:7 (7:9), 7:6 (7:3) und 70:68 gewann Isner nach elf Stunden und fünf Minuten. Aber das war in der ersten Runde von Wimbledon, also kein Vergleich.

Welche Rolle spielten die Fans?

Nach den Spielständen dürften die Zuschauerinnen während der vergangenen zwei Wochen in Paris den Satz »Silence, s'il vous plaît« am häufigsten gehört haben.

Das Publikum der French Open entzweite mal wieder die Tennisfans. Zwischenrufe kurz vor dem Aufschlag, Jubel bei Fehlern, Pfiffe gegen einzelne Spielerinnen und Spieler – »Etikette« klingt französisch, Roland Garros hat sich aber einen besonderen Ruf erarbeitet, im Umgang mit den Athleten die traditionellen Benimmregeln anders auszulegen.

Immer wieder zerbrechen darunter Spieler, in diesem Jahr hatte unter anderem Mirra Andrejewa bei ihrem Match gegen die Französin Loïs Boisson  damit zu kämpfen. Die junge Russin wollte das nicht als Ausrede gelten lassen, ganz Vollprofi nahm sie sich vor, aus der Situation lernen zu wollen und daran zu wachsen.

 »Silence, s'il vous plaît«

Publikum in Paris: »Silence, s'il vous plaît«

Foto: Thibault Camus / AP

Auch im Finale musste Stuhlschiedsrichterin Eva Asderaki immer wieder zur Ruhe mahnen. Die italienischen Medien nannten die Franzosen »alles andere als sportlich«. Carlos Alcaraz sprach dem Publikum einen großen Anteil an seinem sensationellen Comeback zu. »Die Zuschauer waren sehr wichtig für mich heute. Das gesamte Stadion war fantastisch und die Unterstützung, die aus einigen Ecken kam, hat mir sehr geholfen. Ohne sie wäre es für mich unmöglich gewesen, in dem Spiel noch mal zurückzukommen.«

Beginnt eine goldene Ära im Männertennis?

Ja und nein. Worauf sich alle Fans freuen dürfen, ist eine Rivalität zwischen zwei faszinierenden Spielern, die von sich sagen, sich abseits des Platzes durchaus zu ähneln, mit ihrer ruhigen Art, die auf dem Platz aber so unterschiedlich sind.

Sinner, der keine Leistungsschwankungen zu kennen scheint.

Alcaraz, der viel wackliger ist, auch mal Sätze oder ganze Matches überraschend verliert. Dessen bestes Tennis aber noch einen Tick über dem liegt, was Sinner zu leisten imstande ist. Dieses Duell ist wie gemacht für Final-Dramen.

Was dem Männertennis (noch) fehlt, sind Spieler aus der zweiten Reihe, die das Zeug haben, zu den beiden aufzuschließen. Alcaraz, Sinner, Sinner, Alcaraz, Alcaraz, Sinner lauten die vergangenen sechs Grand-Slam-Turniergewinner.

 Kann jemand zu ihm und Alcaraz aufschließen?

Südtiroler Sinner: Kann jemand zu ihm und Alcaraz aufschließen?

Foto: Alain Jocard / AFP

Wenig spricht dafür, dass derzeitige Top-Ten-Spieler wie Zverev, Taylor Fritz, Alex de Minaur oder Lorenzo Musetti noch den großen Schritt machen, so wie es Andy Murray, Juan Martin del Potro oder Stan Wawrinka punktuell zu Zeiten der großen Drei schafften.

Aber so schlecht ist die Aussicht ja nicht, sich dann erstmal weiter am Duell der beiden Helden vom Sonntag zu ergötzen.

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