Familienministerin fordert Pflegegeld: Das wären die Vor-und Nachteile einer neuen Sozialleistung

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Es geht um eine neue Sozialleistung, die Millionen Menschen entlasten könnte. Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) will ein Pflegegeld als Lohnersatz einführen. Damit würden Menschen, die Angehörige pflegen, deutlich mehr Unterstützung als bisher erhalten.

„Es wird mit unserer demografischen Entwicklung nicht möglich sein, dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird“, sagte die CDU-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Deshalb müssen wir einen Einstieg in ein Pflegegeld als Lohnersatz für pflegende Angehörige schaffen.“

Es wird mit unserer demografischen Entwicklung nicht möglich sein, dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird.

Bundesfamilienministerin Karin Prien

Damit adressiert Prien ein stark wachsendes Problem. Gab es 2001 in Deutschland noch 2,04 Millionen Pflegebedürftige, waren es 2023 bereits 5,7 Millionen. Der Großteil von ihnen wird zu Hause versorgt. Laut Statistischem Bundesamt sind nur 14 Prozent der Betroffenen im Heimen untergebracht. Bei 19 Prozent übernimmt ein ambulanter Betreuungsdienst den Großteil der Pflege zu Hause, bei 67 Prozent sind das die Angehörigen.

Bisher kaum Hilfe für Familien

Doch für viele Familien ist das eine enorme Belastung. Pflegende Angehörige können oft bestenfalls Teilzeit arbeiten. Das bringt meist finanzielle Schwierigkeiten mit sich. Obwohl die vergleichsweise günstige Pflege zu Hause die unter Druck stehende soziale Pflegeversicherung entlastet, erhalten pflegende Angehörige bisher nur wenig Unterstützung vom Staat.

Je nach Pflegegrad liegt das Pflegegeld bisher bei monatlich 347 bis 990 Euro, es geht zudem an die Pflegebedürftigen. Prien schlägt stattdessen nun vor, das Pflegegeld am entgangenen Lohn der Pflegenden zu orientieren. Zur genauen Ausgestaltung äußerte sich die Familienministerin aber nur vage. Zum Einstieg seien „viele Varianten denkbar“, sagte Prien: „Man kann über die Bezugsdauer reden, über die Höhe, über eine soziale Staffelung.“

Zudem hält Prien ein Pflegegeld als Lohnersatz nur bei einer Belebung der Konjunktur für möglich. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert. Aber auch, wenn das klappt, wird man Schwerpunkte setzen müssen“, sagte Prien. Und oberste Priorität habe für sie mehr Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche.

Orientierung am Elterngeld?

Die CDU-Politikerin hält sich damit an die Linie des Koalitionsvertrages. Darin heißt es: „Wir prüfen, wie perspektivisch ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann.“ Solche Prüfaufträge gelten als wenig verbindlich.

Entsprechend zurückhaltend kommentiert man in der SPD-Fraktion Priens Vorstoß. Man wolle pflegenden Angehörigen das Leben leichter machen, „indem wir zukünftig die Vereinbarkeit von Pflege und Job erleichtern“, sagte die Fraktionsvize Dagmar Schmidt. „Die Einführung eines Familienpflegegeldes kann hierbei eine mögliche Option sein, auf deren Prüfung wir uns im Koalitionsvertrag verständigt haben.“

Die Sozialverbände machten hingegen konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung des Pflegegelds als Lohnersatz. Orientierung dafür sei „ein Anteil von 65 Prozent des letzten Nettoeinkommens, mindestens aber 300 und maximal 1800 Euro“, sagte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Das entspricht den Konditionen des Elterngelds.

Für eine solche Regelung sprach sich auch die Chefin des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, aus. Ein „reines Pauschalmodell“ werde der sozialen Realität vieler Pflegender nicht gerecht, sagte Engelmeier. „Stattdessen braucht es eine sozial gestaffelte Lösung mit klarer Ober- und Untergrenze, die sich am vorherigen Einkommen orientiert.“ Pflegende müssten sich ohne Existenzangst um ihre Angehörige kümmern können.

Skepsis bei Gesundheitsökonomen

Kritisch sieht das vorgeschlagene Pflegegeld der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Es bestehe die Gefahr, dass „Anreize zur Arbeitszeitreduzierung gesetzt“ würden, obwohl Pflege und Beruf vereinbar seien. Bei Fachkräftemangel seien die Maßnahmen gesamtwirtschaftlich nicht sinnvoll.

Der Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg sieht die vorgeschlagene neue Sozialleistung mit gemischten Gefühlen. „Ein Pflegegeld würde den Anteil an informeller Pflege durch Angehörige zu Hause vermutlich weiter erhöhen. Angesichts des Fachkräftemangels in der Alterspflege kann das sinnvoll sein“, sagte Schreyögg dem Tagesspiegel. Zugleich stünden die Angehörigen damit auch dem Arbeitsmarkt in geringerem Umfang zur Verfügung. Diese Wirkung gelte es bei der Konzipierung dieser Sozialleistung zu berücksichtigen.

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege, Thomas Greiner, zeigte sich ablehnend. Er sagte, das Familienpflegegeld schade der Wirtschaft; es „zementiert veraltete Rollenbilder und vergrößert den Gender-Pay-Gap“. Denn meist kümmerten sich Frauen zu Hause um Pflegebedürftige. „Statt hoch qualifizierte Frauen in neue Abhängigkeiten zu bringen, brauchen wir weniger Bürokratie, flexible Pflegeangebote und verlässlich verfügbare Pflegeplätze“, so Greiner. (mit Agenturen)

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