Am 7. Oktober 2023 hatte die radikalislamische Hamas mit einem bis dahin beispiellosen Angriff Israel terrorisiert. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sieht nun in Folge der Attacke eine „Explosion des Antisemitismus“ in Europa und in Deutschland. „Was wir heute erleben, hätte ich mir 2014 im Albtraum nicht vorstellen können“, sagte Schuster in einem Interview anlässlich seines zehnjährigen Amtsjubiläums den Zeitungen „Main Post“ und „Augsburger Allgemeine“.
„Dass Jüdinnen und Juden auch in Westeuropa so bedroht sind, ist eine neue Qualität“, betonte Schuster mit Blick auf Ausschreitungen oder Polizeischutz bei Spielen jüdischer Fußballvereine.
In Deutschland habe sich die Zahl von rund 20 Prozent der Menschen, die antijüdische Ressentiments hätten, zwar nicht wesentlich verändert, „aber viele, die sich früher nicht getraut haben, ihre Judenfeindlichkeit offen auszusprechen, trauen es sich jetzt“, sagte der 70-Jährige. „Man sagt alles, was man denkt. Es gibt keinerlei Dämme mehr. Diese 20 Prozent sind sehr laut – und zum Teil auch gewaltbereit.“
Bilder generell, aber ganz konkret die aus dem Nahen Osten, wirken einfach mehr als Worte.
Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden
Dabei ist nach Schusters Ansicht ein in den Medien transportiertes negatives Israel-Bild ein Brandbeschleuniger für den Extremismus. Da seien einerseits die Sozialen Medien, die ganz bewusst Hass in die Gesellschaft trügen, sagte Schuster. Eine Verantwortung sehe er aber auch bei öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern: „Bilder generell, aber ganz konkret die aus dem Nahen Osten, wirken einfach mehr als Worte.“
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Als Beispiel verwies Schuster auf aus Gaza kommende Bilder, die Verletzte zeigten: „Jeder Verletzte in Gaza tut mir genauso leid wie ein verletzter Israeli. Allerdings wird bei der Bildauswahl häufig einfach vergessen, dass die Menschen dort von den Hamas, von den eigenen Leuten, ganz bewusst als menschliche Schutzschilde benutzt werden.“
Abschussrampen und Terrorzentralen seien unter Wohnhäusern, Krankenhäusern und Schulen angelegt worden. Viele dieser Gebäude würden nicht mehr in dieser Form genutzt und trotzdem laute die Meldung „Angriff auf Schule“. Fatal seien auch übernommene Narrative der Terrorgruppen, so der Zentralratspräsident.
Er betonte, dass Kritik an der israelischen Kriegsführung nicht antisemitisch sei, wenn sie nicht in entsprechende Denkmuster verfalle. „Natürlich ist es völlig unstrittig, dass man die Politik von Premier Netanjahu kritisieren kann – so wie man nicht alle Entscheidungen des deutschen Bundeskanzlers oder der Kanzlerin gut finden muss. Genau das ist Demokratie.“
Der Zentralratspräsident weiter: „Ich empfehle die sogenannte Drei-D-Theorie“, sagte Schuster. „Demnach hat die legitime Kritik an Israel ihre Grenzen, wo Israel dämonisiert wird, wo an Israel Doppelstandards angelegt werden, die man an andere Länder nicht anlegt – und wo Israel delegitimiert, also dem Staat das Existenzrecht abgesprochen wird.“
Schuster beklagte, dass sich die Öffentlichkeit ein Stück weit an diese gefährliche Entwicklung gewöhnt habe. „Ich erinnere mich, Anfang 2015, kurz nachdem ich das Amt übernommen hatte, habe ich in einem Radiointerview gesagt, dass das Tragen einer Kippa in einigen Stadtvierteln von Berlin absolut nicht ratsam ist“, sagte er. Dies habe damals einen Aufschrei in den Medien gegeben. „Heute sorgt so eine Äußerung nicht mehr für Schlagzeilen.“
Schuster warnt vor AfD und Wagenknecht
Schuster warnte zudem vor der Gefahr, die extreme Parteien für das jüdische Leben in Deutschland darstellten. „Ich könnte mir vorstellen, bei einer erheblichen Regierungsbeteiligung extremer Parteien könnte für Juden ein Leben in Deutschland unmöglich werden“, sagte der Zentralratsvorsitzende.
In Bezug auf die AfD sagte er, diese habe zwar die Bundestagsresolution gegen Antisemitismus mitgetragen, die alle wesentlichen Punkte zum Schutz jüdischen Lebens enthalte, aber wohl nur, weil „der migrationsbedingte Antisemitismus benannt wird. Gut wäre es gewesen, wenn in der Resolution genauso der linksextreme und rechtsextreme Antisemitismus benannt worden wäre – dann hätte die AfD wohl Schwierigkeiten gehabt“, fügte Schuster hinzu.
Bemerkenswert sei die Ablehnung der Resolution durch das BSW. „Dieses Nein macht deutlich, wie dieses Bündnis tickt“, sagte Schuster. Dazu, dass er Parteichefin Sarah Wagenknecht Israelhass vorgeworfen habe, stehe er. (lem)