Urs Niggli ist einer der bekanntesten Vordenker des Ökolandbaus. Seit Jahrzehnten predigt der Schweizer Agrarwissenschaftler die Unerlässlichkeit von gesunden Böden, Artenreichtum und einer Landwirtschaft, die mit der Natur arbeitet und nicht gegen sie. Urs Niggli sagt aber auch: Es braucht die Genomeditierung in der Landwirtschaft. So werde der konventionelle Anbau effektiver und nachhaltiger, der Ökoanbau mit seinem geringeren Ertrag schaffe es nicht, die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen.
Was Niggli fordert, wird – die Zustimmung von Parlament und Rat der EU vorausgesetzt – bald passieren: Pflanzensorten, die mit der Genschere CRISPR/Cas9 entwickelt wurden, sollen EU-weit schneller zugelassen werden, in Geschäften gekennzeichnet werden müssen sie oder die daraus hergestellten Produkte nicht. Schlecht finden das Umweltorganisationen und Verbraucherverbände. Gut finden es Agrarkonzerne und der Bauernverband. So weit, so erwartbar. Dennoch verlaufen, wie man an Urs Niggli sieht, die Konfliktlinien nicht so eindeutig wie bei der klassischen Gentechnik, bei der fremdes Erbgut in ein Genom eingesetzt wird. Bekanntestes Beispiel: die als Genmais bekannt gewordene Züchtung, die ein Gift gegen ihre Schädlinge schon eingebaut hat. Mithilfe der Genschere entstandene Pflanzen abzulehnen, heiße, den Prozess über das Endprodukt zu stellen, sagte Urs Niggli in einem Interview mit der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“.
Seit Jahrtausenden werden Pflanzen optimiert
Tatsächlich lassen sich Bedenken, Ängste und Zuspruch entlang der doppelten Perspektive erklären, die die Genscheren-Züchtungen erlauben: Man sieht den Weg oder das Ergebnis. Auch die EU-Einigung geht vom Produkt aus und stellt Pflanzen, deren Genom mittels gezielter Schnitte verändert wurde, auf die diese mit Reparaturprozessen der Zelle reagieren, herkömmlich gezüchteten Pflanzen gleich. In der Tat kann man beide molekularbiologisch meist nicht unterscheiden. Die Veränderung wird als Mutation gesehen, wie sie auch in der Natur entstehen könnte: als eine besonders effektive Methode, Pflanzen zu optimieren, wie es in der Landwirtschaft seit Tausenden Jahren geschieht.
Wer so auf die Technologie blickt, kann, wie die EU-Unterhändler in ihrer Pressemitteilung, begeistert verkünden, dass Landwirte nun Feldfrüchte züchten könnten, die dem Klimawandel widerstehen, mehr Ertrag auf weniger Fläche bringen und die Wettbewerbsfähigkeit der Bauern verbessern. Andere Länder haben längst weniger strikte Regelungen. Der Blick auf das, was diese hervorgebracht haben, zeigt aber, dass es eher um Annehmlichkeiten der Kategorie „Trauben ohne Kern“ geht: In den USA bleibt ein Salat länger frisch, in China wird an süßeren Tomaten gearbeitet, in Japan hat eine Tomate blutdrucksenkende Wirkung. Dort gibt es sogar schon einen Fisch, der mehr Fleisch ansetzt.
Tomaten, die beruhigen
Gegen beruhigende Tomaten haben die Menschen, die sie essen sollen, prinzipiell sicher nichts. In Deutschland ist ihnen aber wichtiger, wie diese Tomaten entstanden sind – wie auch dem Europäischen Gerichtshof, der 2018 urteilte, per Genschere veränderte Pflanzen müssten als genetisch verändert eingestuft werden. Seit Jahren bestätigt jede Umfrage, dass der deutschen Bevölkerung Gentechnik nicht geheuer ist. Mehr als zwei Drittel sprechen sich gegen ihren Einsatz in Landwirtschaft und Nahrungsmittelversorgung aus. In einer Befragung von 2021 waren 65 Prozent gegen Lockerungen der Regeln bei neuen Gentechnikverfahren, also CRISPR/Cas9.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die sich für Pflanzenzucht mit der Genschere ausspricht, hat die Vorbehalte untersucht, die im Zusammenhang mit Grüner Gentechnik am häufigsten genannt werden. Ganz oben: Sie wird als unnatürlich empfunden. Man könnte einwenden, dass die Kategorie der Natürlichkeit in der Landwirtschaft generell schwierig ist und die Vorstellungen der Verbraucher mit der Realität nicht viel zu tun haben. Auch die Natürlichkeit von Monokulturen auf dem Acker und fabrikmäßiger Fleischproduktion kann man hinterfragen. Doch die Intuition, dass Produkte aus der Natur eigentlich nah an der Natur bleiben sollten, muss ernst genommen werden. Dass eine Kennzeichnung der Genscheren-Pflanzen im Supermarkt nicht vorgesehen ist, wird das Misstrauen ihnen gegenüber noch steigern. Und den nötigen nüchternen Blick auf die Technologie schwieriger machen.

vor 14 Stunden
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