Wer an Elon Musks neuem Projekt „Colossus“ im Süden von Memphis vorbeifährt, sieht keinen Giganten. Dort, wo Musks neuer Supercomputer derzeit entsteht, der der größte der Welt sein soll, sind nur hell getünchte Industriebauten zu sehen – zwanzig Autominuten vom Stadtzentrum entfernt, könnte das Gebäudeensemble genauso gut eine Fleischfabrik sein oder eine Recyclinganlage. Hier wird Musks Unternehmen xAI künftig die Künstliche Intelligenz „Grok“ trainieren, die als libertäre Alternative zu ChatGPT inszeniert wird. Und hier lässt sich beobachten, wie die Expansionseuphorie der KI-Branche von der neuen umweltpolitischen „Freiheit“ unter Donald Trump profitiert, während sie eine alte Geschichte von Verpestung als Armutsrisiko fortschreibt.
Wo früher Arbeiter in einer Electrolux-Fabrik Küchengeräte herstellten, sollen am Ende erst 200.000 dann eine Million GPU’s, Grafikprozessoren, mit enormer Rechenleistung Musks Künstliche Intelligenz trainieren, ihr Konstruieren, Kalkulieren, Argumentieren beibringen. Dafür sind riesige Mengen an Strom nötig – und auch an Wasser, um die Systeme zu kühlen. Online rühmt sich xAI, „Colossus“ in nur vier Monaten hochgezogen zu haben, Fragen beantwortet man aber nur ungern. Es habe keinen Beteiligungsprozess mit den Anwohnern und auch keine richtige Prüfung durch die Gesundheitsbehörde gegeben, sagt Amanda Garcia, Anwältin für die Nichtregierungsorganisation „Southern Environmental Law Center“ im Gespräch mit der F.A.Z.
Mehr als doppelt so viele Gasturbinen wie genehmigt
Dass der reichste Mensch der Welt die alte Fabrik gekauft hatte und im Begriff war, den größten Computer aller Zeiten zu errichten, erfuhren auch viele Politiker vor Ort 2024 aus der Presse. „Am Ende haben wir uns ein Kleinflugzeug besorgt, um uns selbst ein Bild zu machen“, sagt Amanda Garcia. Seitdem wird der Protest immer lauter. Denn Elon Musks Maschine der Superlative läuft vorerst mit Gasturbinen – 35 zählten die Umweltaktivisten aus ihrer Cessna. Fünfzehn waren genehmigt worden, und selbst deren Genehmigungsprozess schien so undurchsichtig zu sein, dass Garcia heute sagt, Musk betreibe ein verstecktes Kraftwerk.

Die Turbinen sollen so viel Strom produzieren, dass er für 280.000 Haushalte reichen sollte. Nach Einschätzung von Fachleuten stößen sie jährlich bis zu zweitausend Tonnen an Asthma fördernden Stickoxiden und andere giftige Gase wie Formaldehyd aus, von den CO2-Emissionen ganz zu schweigen. Die Stadt Memphis habe bei der Genehmigung nur auf die zu erwartenden Steuereinnahmen geschaut und setze dafür die Gesundheit der Ärmsten aufs Spiel, ist Amanda Garcia überzeugt.

Keine fünf Autominuten von „Colossus“ entfernt leben Menschen in kleinen Häusern aus Holz und Stein. Viele Gärten dort sind verwildert, manche Fenster mit Sperrholz verrammelt. Im hohen Gras rotten vereinzelte Autowracks vor sich hin. South Memphis ist eine arme Gegend. An das Industriegebiet grenzen mit Boxtown und dem etwas weiter entfernten Westwood zwei der einkommensschwächsten Nachbarschaften der Stadt. In Boxtown, das einst von ehemals versklavten Menschen gegründet wurde, leben heute zu mehr als neunzig Prozent Afroamerikaner. Das Median-Haushaltseinkommen liegt mit 36.000 Dollar im Jahr unter der Hälfte des nationalen Mittels.
Memphis hat landesweit mit die meisten Asthma-Fälle
Früher war Boxtown ein Arbeiterviertel, heute gibt es viele Jobs gar nicht mehr. Geblieben sind siebzehn Industrieanlagen, die bereits seit Jahrzehnten die Luft und den Boden belasten, darunter Chemiewerke, eine Ölraffinerie und ein stillgelegtes Kohlekraftwerk. „Immer wieder fiel die Wahl auf diese Ecke, wenn man Fabriken ansiedeln wollte. Kein Wunder, dass sich die Menschen wie in einer ‚sacrifice zone‘ (Opferzone) fühlen, als würden sie geopfert“, sagt KeShaun Pearson, der als Kind in Westwood wohnte. Er habe viele Allergien, und wenn er auf die Statistiken schaue, dann könne ihm niemand erzählen, dass das Zufall sei, sagt der Direktor der Organisation „Memphis Community Against Pollution“ der F.A.Z.
Er selbst habe als Computerwissenschaftler nichts gegen technischen Fortschritt, so lange dies nachhaltig geschehe, so Pearson. „Colossus“ und xAI seien jedoch ein Beispiel für die „Kommodifizierung menschlichen Lebens und menschlicher Kreativität“. Und mit energieintensiven Projekten wie diesem werde eine weitere Generation „an fossile Brennstoffe gekettet“.
Heute hat Memphis landesweit mit die meisten Asthma-Fälle, und statistisch hat der Postleitzahlenbereich, in dem Boxtown liegt, sogar eine noch höhere Quote. Das Krebsrisiko ist im Vergleich zum Rest der Stadt erhöht. Die gesundheitlichen Probleme vieler hier lebenden Menschen haben dabei nicht nur eine Ursache, doch viele der Ursachen lassen sich auf eine Wurzel zurückführen: Armut. Wer schlecht oder gar nicht versichert ist, hat keinen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung.

Wer wenig Geld hat, greift statistisch häufiger zu Fast Food. Die Restaurantketten mit Burgern und Waffeln sind von den ärmsten Nachbarschaften nie weit entfernt. Hinzu kommen unsichere Arbeitsbedingungen, Arbeitsunfälle in der Fleischfabrik, auf der Baustelle, der Schrottverwertungsanlage, die nicht so behandelt werden, wie sie sollten. Und bei nicht wenigen machen Traumata alles noch schlimmer, durch Gewalt in der Familie, Gewalt auf der Straße, Gewalt im Kriegseinsatz oder durch rassistische Strukturen.
Der Widerstand wurde unterschätzt
Martin Luther King, der in Memphis 1968 ermordet wurde, als er die Müllwerker bei ihrem Streik unterstützen wollte, sah den Kampf gegen die Armut als seine unvollendete Aufgabe an. Dass es heute eine mehrheitlich schwarze Regierung in der zu 63 Prozent schwarzen Stadt gibt, die ein potentiell schädliches Industrieprojekt in einer armen Nachbarschaft durchwinke, sei besonders schmerzhaft, sagt LaTricea Adams, die die Organisation „Young, Gifted and Green“ leitet. „Es ist, als seien die Steuereinnahmen wichtiger als die Anwohner“, beschreibt sie die Stimmung vieler hier. Ihr Vater und ihre Großmutter, die in South Memphis wohnten, seien früh an chronischen Krankheiten gestorben, erzählt Adams.

Sie berichtet auch von mehreren Stromausfällen, als die Netze in den vergangenen Jahren während plötzlicher Kälteeinbrüche überlastet waren. Viele hier befürchten, dass auch das Colossus-Projekt das Stromnetz ähnlich überlasten könnte. Dass die Stadt nun ankündigt, Musk ein eigenes Umspannwerk neben seinen Supercomputer zu errichten, empört Adams angesichts der großen Infrastrukturprobleme der Stadt.
Weder das Unternehmen xAI noch die Stadt Memphis wollen sich auf Nachfrage der F.A.Z. äußern – auch schriftliche Fragen mit einwöchiger Frist bleiben unbeantwortet. Das könnte auch daran liegen, dass man den Widerstand unterschätzt hat. Das wäre überraschend, denn Boxtown und die anderen Nachbarschaften in South Memphis haben sich vor einigen Jahren schon einmal erfolgreich gegen eine Pipeline gewehrt, die schließlich nicht gebaut wurde.
Der Kampf gegen die Byhalia-Ölpipeline machte einen Mann regional berühmt, der später auch landesweit bekannt wurde: Justin Pearson, KeShauns Bruder. Heute ist er Abgeordneter der Demokraten im regionalen Repräsentantenhaus und gehörte zu jenen „Tennessee Three“, die für ihren Protest gegen zu laxe Waffengesetze 2023 von den Republikanern zeitweise aus der Kammer verbannt wurden.
KeShaun Pearson erinnert sich im Gespräch daran, wie ein Mitarbeiter des Pipeline-Projekts damals zugab, warum die Wahl auf Süd-Memphis fiel: Hier hätten Firmen wie Valero und Plains All American den „Weg des geringsten Widerstandes“ gesehen. Das meinen sie, wenn von „Environmental Racism“, Umweltrassismus, die Rede ist: arme Gemeinden, die ohnehin schon mit hohen gesundheitlichen Belastungen kämpfen, werden als vermeintlich schwache Gegner ins Visier genommen.
Mehrere Gasturbinen wurden wieder entfernt
Themen wie Umweltrassismus und Umweltgerechtigkeit sollen unter Donald Trump nicht mehr offiziell angesprochen werden. 1,7 Milliarden Dollar für vierhundert entsprechende Projekte wurden unter dem Einfluss von Musks „Department of Government Efficiency“ gekürzt. Seine eigenen Unternehmen profitieren freilich von den gelockerten Vorschriften unter Trump. Dessen Justizministerium beendete beispielsweise die Untersuchung der weltbekannten „Cancer Alley“ in Louisiana, in der die dort ansässigen Chemiefabriken für überproportional hohe Krebsraten in afroamerikanischen Gemeinden verantwortlich sein sollen.
Die Abteilung für Umweltgerechtigkeit im Umweltministerium wurde ganz abgeschafft. Und Elon Musk kommt eine weitere Neuerung der Regierung zugute, deren Berater er bald nicht mehr offiziell ist. Früher hätte jeder die Emissionen seiner Firmen mit öffentlich zugänglichen Behörden-Tools prüfen können. Manche dieser Datenbanken sind nun aber nur noch als Kopie von Aktivisten zu finden.
In Memphis will man derweil die Wogen glätten. In dieser Woche hat die dortige Handelskammer bekannt gegeben, dass xAI mehrere Gasturbinen wieder entfernt habe. Es ist nicht klar, ob das eine Reaktion auf den heftigen Widerstand vor Ort ist. Die befürchteten Emissionen der restlichen Turbinen, die mögliche Überlastung des Stromnetzes, der erhöhte Wasserverbrauch – all die Probleme werden die Anwohner aber auch weiterhin beschäftigen, zu denen sich Musk bisher nicht öffentlich geäußert hat. Gleichzeitig wurde bekannt, dass er einen zweiten Standort in der Stadt eröffnen wird, mit Strom aus vorerst neun Turbinen.
Der scheidende „Doge“-Chef hat innerhalb weniger Monate dazu beigetragen, dass auch die Regierung in Washington in den kommenden Jahren kein Partner mehr sein wird, wenn es darum geht, Vorschriften wie die des „Clean Air Act“ umzusetzen. Vielen Menschen in South Memphis und ähnlichen Gegenden kommt das vor, als würden sie der Abwicklung von Klima- und Umweltschutz und alt-neuen Maximen wie „Drill, Baby, drill“ geopfert. Zugleich sind diese Nachbarschaften kampferprobt, der Weg des geringsten Widerstandes führt hier nicht entlang.