„Toleranz“ ist ein denkwürdiges und gerade wieder höchst aktuelles Bild aus dem Zeitalter der europäischen Aufklärung. Es zeigt die Allegorie der antiken Weisheitsgöttin Minerva im Strahlenkranz der Illumination. Wie eine Schutzmantelmadonna bietet sie den Figuren um sich herum mit ihrem weit geöffneten Umhang Protektion an. Von links nach rechts zu sehen ist ein am Boden liegender Chinese mit Zopf, ein Herrnhuter mit gefalteten Händen, ein Muslim mit Turban, ein Jude mit Kaftan und Gebetsrolle, ein Franziskaner mit Tonsur, ein Lutheraner mit Halskrause, ein Reformierter mit Bäffchen, ein Quäker oder Mennonit mit typischer Haartracht und zuletzt ein Mann, in dem man eine Selbstdarstellung des Künstlers erblickt hat.
Ölgemälde Chodowieckis sind selten
Es ist der Berliner Miniaturmaler und Kupferstecher Daniel Nikolaus Chodowiecki, der in einem Brief an die Gräfin von Solms-Laubach 1791 alle diese Figuren aufzählt: Darüber stehe „die Weissheit, die ihre arme uber alle Religions-Verwandte ausstreckt“. Auf der bislang bekannten winzigen Radierung im „Göttinger Taschen Calender für das Jahr 1792“ ist sein Selbstporträt nicht zu erkennen, wohl aber auf einem neuerdings aufgetauchten, zehnmal größeren Ölbild. Wie bei seinem englischen Vorgänger William Hogarth, zu dessen Kupferserien große Gemälde existieren, gehen auch bei Chodowiecki meist lavierte Feder- oder Bleistiftzeichnungen voran, die dann oft von anderen Stechern auf die Druckplatte übertragen wurden. Ölgemälde hingegen sind selten, was den Neufund umso sensationeller macht.

Angeboten wurde das Ölbild, das einst dem Berliner Tabakfabrikanten Johann Kohlweck gehörte, zuerst über Ebay aus Privatbesitz. Dierk Loyal berichtet weiter, dass es zum Glück vom Deutschen Hugenotten-Museum im niedersächsischen Bad Karlshafen angekauft werden konnte, wo es jetzt hängt (Hugenotten, Jg. 89, Nr. 2, 2025). Loyal identifiziert durch Porträtvergleiche nicht nur Chodowiecki im Hintergrund und den Prediger Abel Burja von der Berliner Friedrichstadtkirche in Gestalt des Reformierten, sondern hebt auch die Thorarolle auf der Radierung statt des Buches auf dem Gemälde hervor. Den Beter neben dem Chinesen hält er für einen Anglikaner, laut Chodowiecki muss aber auch ein Herrnhuter vorkommen. Wie auch immer, selten ist Nathans Botschaft aus der Ringparabel in Lessings dramatischem Gedicht von 1779 eindrücklicher illustriert worden: „Wohlan! / Es eifre jeder seiner unbestochnen / Von Vorurteilen freien Liebe nach!“