eHealth: "Inhalte des Arzt-Patienten-Gesprächs sollen vertraulich bleiben"

vor 1 Tag 1

Während die Digitalisierung in vielen Bereichen Arbeitsprozesse vereinfacht, zeigen sich zahlreiche Ärztinnen und Ärzte zunehmend frustriert über die staatlich vorangetriebene digitale Transformation des Gesundheitswesens aufgrund wiederkehrender Störungen der Telematikinfrastruktur (TI) – der Gesundheitsdatenautobahn.

Dr. Silke Lüder ist Allgemeinärztin aus Hamburg und Delegierte beim Ärztetag

(Bild: Ärztenachrichtendienst)

Über diese Beschwerden, die bei heise online in jüngster Zeit vermehrt eingehen, die aktuellen Entwicklungen rund um KI sowie die vom Ärztetag zur Digitalisierung beschlossenen Anträge sprachen wir mit der Allgemeinärztin Dr. Silke Lüder.

Sie haben beim Ärztetag viele Anträge eingebracht. Was bewegt Sie dazu und welche Punkte sind Ihnen besonders wichtig – sowohl für Patienten als auch für Ihren Berufsstand?

Wir sind mit anderen Kollegen zusammen seit vielen Jahren auf den Deutschen Ärztetagen aktiv. Für mich als Ärztin ist es die Grundlage meiner Tätigkeit, dass es einen geschützten Vertrauensraum in der Praxis gibt. Dass sich jeder Patient darauf verlassen kann, dass die Inhalte des Arzt-Patienten-Gesprächs einen geschützten Raum nicht verlassen und die ärztliche Schweigepflicht eingehalten wird. Ansonsten werden die Patientinnen und Patienten sich nicht mehr offen äußern, und wir können keine richtigen Diagnosen mehr stellen und nicht mehr richtig behandeln.

Für die Patienten hat die informationelle Selbstbestimmung nicht ohne Grund Grundrechtsstatus. Das hat auch eine politische Dimension. Wenn die Menschen mit irgendwelchen sensiblen Daten aus dem Gesundheitswesen erpressbar werden, ist auch die Demokratie in Gefahr.

Wir sehen, dass die ärztliche Schweigepflicht mit jeder Gesetzesänderung der letzten Jahre immer weiter ausgehöhlt wird. Dem Datenschutz wird vorgeworfen, Forschung und wirtschaftliche Entwicklung zu behindern. Dabei sind zum Beispiel die Abrechnungsdaten in der ePA, um die es auch geht, für die meisten Forschungsfragen völlig ungeeignet. Aber eine sehr interessierte Industrie betätigt sich im Augenblick als Datenstaubsauger, um jedes Datum für das KI-Training zu nutzen. Da geht es natürlich um viel Geld.

KI war eines der Hauptthemen auf dem diesjährigen Ärztetag. Dazu haben Sie und Ihre Kollegen einen Antrag durchgebracht, bei dem das gesprochene Wort im Arzt-Patienten-Gespräch besser geschützt wird. Gibt es da Nachbesserungsbedarf?

Das gesprochene Wort genießt eigentlich einen besonderen Schutz nach § 201 Strafgesetzbuch. Augenblicklich gibt es eine massive Werbekampagne der IT-Firmen für Praxen und Kliniken, wo dann, wie der vorherige Gesundheitsminister auch schon beworben hatte, die KI-Trainingsdaten automatisch aus dem Arzt-Patienten-Gespräch absaugt und dann damit Arztbriefe erstellt werden. Dabei bleibt möglicherweise unklar, wo und wie die Daten verarbeitet werden. Und die Zustimmung wird dann vielleicht nur formal durch einen Klick auf einem Aufklärungsbogen eingeholt, das ist aber dann keine informierte Einwilligung. Klar gäbe es hier einen gesetzlichen Nachbesserungsbedarf für die neue Gesundheitsministerin.

Diskutiert wurde auch immer wieder, ob der Einsatz von generativer KI dazu führt, dass sich die Ärzte, vor allem die jüngeren, zu sehr auf die Ausgaben oder Vorschläge der KI verlassen. Wie sehen Sie das?

Da müssen wir sehen, in welche Richtung sich das entwickelt. Noch wissen wir zu wenig. Für Assistenzärzte ist es sicherlich besser, zuerst selbst nachzudenken, wie sie einen Arztbrief verfassen. Erfahrungen sind ein wichtiger Bestandteil von Lernprozessen. Wenn alles automatisiert an die KI delegiert wird, wird man nicht mehr selbst eine gute Therapieempfehlung für die weiterbehandelnden Ärzte entwickeln. Zumal die KI nur Antworten gibt, die wesentlich von der Qualität der ursprünglichen Daten abhängen, die aber nicht transparent sind. Die Letztverantwortung bleibt ja trotzdem beim Arzt oder der Ärztin. Und der Zeitdruck auf die Kollegen durch die Klinikverwalter wird dann eher noch zunehmen.

Und ein anderes Thema ist, wie auch schon auf dem Ärztetag und anderswo thematisiert, der Energieverbrauch. Für jede noch so kleine Frage sollten wir, auch der Umwelt zuliebe, keine KI bemühen. Sie verbraucht mindestens das Zehnfache an Strom.

Es wird immer noch darum gestritten, dass die ePA-Daten automatisch für alle sichtbar sind, sofern am Behandlungskontext beteiligt. Was wünscht sich die Ärzteschaft diesbezüglich?

Mit den jüngsten Gesetzen wurden viele Regelungen grundlegend verändert. Angefangen beim Wechsel vom Opt-in, bei der der Patient sich aktiv für eine ePA entscheidet, hin zu einer widerspruchsbasierten Lösung (Opt-out). Gleichzeitig wird ein unendlich großer Kreis an Zugriffsberechtigten (Ärzte, Kliniken, Apotheken, Pflegefirmen, Logopäden, medizinische Fußpfleger, Physiotherapeuten etc.) beibehalten. Für den Zugriff muss nur eine Versichertenkarte gesteckt werden, ohne die Identität der Person zu prüfen. Damit wird die ärztliche Schweigepflicht abgeschafft.

Kürzlich gab es auch Berichte darüber, dass ein Arzt Informationen in der ePA sehen konnte, die er lieber nicht gesehen hätte. Viele Versicherte wissen davon nichts. Findet da immer noch zu wenig Aufklärung statt?

Ja, die Krankenkassen haben ihre verpflichtende Aufklärungspflicht nicht wahrgenommen. Die meisten Patientinnen und Patienten wissen nicht, was die ePA für sie bedeutet und welche Auswirkungen das haben kann. Dann wurde noch das feingranulare Berechtigungsmanagement abgeschafft, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die 2-Faktor-Authentisierung (Versicherten-PIN) ebenfalls. Das alles zusammen hat das System massiv verschlechtert. Zuvor hätten Versicherte für den Zugriff eine PIN eingeben müssen.

Der Ärztetag hat mit unserer Unterstützung gefordert, dass es eine angemessene hohe Datensicherheit geben muss und alle Sicherheitslücken vor der verpflichtenden Einführung am ersten Oktober geschlossen sein müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass weitergehende Forderungen durchkommen: Beschränkung der Zugriffsrechte auf Ärzte, Patienten und Kliniken wie in Österreich, wo das schon seit 10 Jahren so ist. Und die Apotheker sollten nur auf die Medikamentenliste Zugriff bekommen, aber nur wenn der Versicherte zustimmt und nicht auf alle Arztbriefe. Und wir wünschen uns eine Löschung der voreingestellten Abrechnungsdaten aus der ePA. Nur 3 Prozent aller Versicherten haben sich die schwer zu erhaltende ePA-App ihrer Krankenkasse installiert. Damit haben 97 Prozent also keine tatsächliche Kontrolle über das, was in ihrer ePA steht und auch nicht darauf, wer zugegriffen hat.

Von der Politik gibt es immer wieder Forderungen, die ePA-Daten für die Strafverfolgung oder andere Bereiche zu nutzen. Es wurden auch schon günstigere Krankenkassenbeiträge für das Spenden der ePA-Daten, genauer gesagt den Verzicht auf den Widerspruch gegen die ePA, angeboten. Was haben Sie in diesen Punkten erreichen können?

Da haben wir einen guten Beschluss erwirkt, der besagt, dass es nicht nur für die Versichertenkarte einen Beschlagnahmeschutz gibt (§ 97 Strafprozessordnung), sondern gesetzlich ausdrücklich auch für die ePA. Es ist ein Unding, dass die letzte Regierung meinte, das nicht festlegen zu müssen. Und noch abstruser ist ja, die kürzlich aufgetauchte Forderung nach günstigeren Krankenkassenbeiträgen für das "Spenden" der ePA-Daten. Da gibt es jetzt zumindest aus Sicht der Ärzteschaft eine ganz klare Ablehnung dieses neuen Kanzler-Vorschlages. Und ebenso falsch ist die politische Forderung nach einem Register für psychisch Kranke. Das wäre absolut kontraproduktiv, weil sich dann schwer psychisch Erkrankte nicht mehr in ärztliche Behandlung begeben würden.

Sie konnten bereits von Anfang an einen Eindruck von der Digitalisierung des Gesundheitswesens gewinnen. Was konnten Sie beobachten?

Über die Jahre ist insgesamt der Eindruck entstanden, dass die ursprünglich propagierten Ziele gar nicht mehr verfolgt werden – zum Beispiel eine bessere Kommunikation zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich. Bis heute sind die Kliniken nicht wirklich aktiv eingebunden. Nach 20 Jahren und verschwendeten Milliardenkosten.

Inzwischen scheint das Thema "Datenspende" für das KI-Training und der Verkauf von Daten an Dritte in den Vordergrund gerückt zu sein – wobei sich natürlich darüber streiten lässt, ob "Spende" in diesem Zusammenhang das richtige Wort ist. Der Druck auf die Arztpraxen als Datenlieferanten wird weiter aufrechterhalten. Wer sich gegen die TI entscheidet, muss zahlen. Die Ärzteschaft ist immer weniger von dem Nutzen des Projekts überzeugt. Viele ältere Praxisärzte planen ihren vorzeitigen Ausstieg aus der Tätigkeit wegen der ePA-Einführung und den damit verbundenen Problemen.

Noch ein anderes Thema: Ihr Antrag zum "Kinder- und Jugendschutz in Social Media, Videoplattformen und Messengerdiensten gewährleisten" wurde auf dem Ärztetag angenommen. Wie soll das gewährleistet werden? Sollte man da nicht die Eltern mehr in die Pflicht nehmen?

Ja, Kinder- und Jugendschutz in Social Media ist ein schwieriges Thema. Sicher müssten da eigentlich die Eltern ihre Verantwortung stärker wahrnehmen. Auch als Vorbild. Wenn das Kleinkind aber schon im Kinderwagen sieht, dass die Eltern ununterbrochen nur auf ihr Handy schauen, ist das schwierig. Man kann, das war auch ein Thema beim Ärztetag, den Schulen vorschlagen, zumindest bei den jüngeren Kindern dafür zu sorgen, dass die Handys während der Schulzeit nicht genutzt werden. Aber das ist ein Thema, welches Gesellschaft und Staat behandeln müssen.

(mack)

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