Die Wirtschaftsministerin ist hochzufrieden. Von einem „guten Tag für die Wirtschaft“ und einem „wichtigen Meilenstein auf dem Weg der Dekarbonisierung der Industrie“ spricht Katherina Reiche am Mittwoch in Berlin. Mitten in der parlamentarischen Sommerpause kann sie zufrieden sein, denn gleich sechs Gesetzvorhaben aus ihrem Haus hat das Bundeskabinett zuvor beschlossen.
Vor allem ein Projekt liegt der CDU-Politikerin am Herzen: die Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO₂, dem sogenannten CCS beziehungsweise CCU. Daran scheiden sich jedoch die Geister. Für Unterstützer ist die Technologie der Gamechanger im Kampf gegen den Klimawandel, Kritiker fürchten dagegen einen Freifahrtschein für die fossile Industrie.
Ich rate uns, den Blick auf CO₂ zu verändern.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche sieht Chancen bei CCS und CCU.
Dieser Sorge will die Ministerin am Mittwoch begegnen. Jede Technologie, die beim Klimaschutz helfe, müsse einsatzfähig werden, argumentiert Reiche. Über CCS, also die Speicherung von Kohlenstoffdioxid, sagt sie: „Überall da, wo CO₂ anfällt – bis auf Kohlekraftwerke – und wir das abscheiden können, ist das ein guter Schritt.“
So könnte etwa in der Zement-, Kalk- oder Aluminium-Industrie die Technologie zum Einsatz kommen. In diesen Branchen gibt es bislang keine Möglichkeiten, die Emissionen zu reduzieren. Die neue Lösung: Das CO₂ werde man entweder ins Ausland, zum Beispiel nach Norwegen, transportieren oder unterm Meer, nicht aber in Küstennähe oder in Naturschutzgebieten, verklappen.
Schon Habeck wollte die Technologie ermöglichen
Schon Reiches Vorgänger, der Grüne Robert Habeck, hatte versucht, CCS und CCU in Deutschland zu ermöglichen. In anderen europäischen Ländern gibt es längst Regeln dazu, hierzulande war die Skepsis jedoch groß. Habeck scheiterte damals am Widerstand seiner eigenen Partei und aus den Reihen der SPD.
Die Bedenken gibt es weiterhin: „Mit dem jetzigen Gesetzentwurf besteht die Gefahr, dass Teile der Industrie die Transformation verschleppen und einen Freifahrtschein für fossile Investitionen bekommen“, sagt die klimapolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Badum, dem Tagesspiegel.
Sie kritisiert vor allem, dass der Gesetzentwurf keinerlei Beschränkung der Technologie vorsieht. „Wir Grüne sind offen für die CO₂-Abscheidung, aber nur als letztes Mittel.“ Badum warnt vor zu hohen Erwartungen: „CCS ist keine Erlösertechnologie, da sie nur einen Teil der CO₂-Emissionen speichern kann, extrem energieaufwendig und teuer ist.“
Die SPD will Änderungen am Gesetz
Auch in der SPD-Fraktion gibt es weiter Zweifel: „CCS kann der Teil einer klimapolitischen Lösung sein, darf aber nicht zur Verlängerung des fossilen Zeitalters führen“, sagt der Klimapolitiker Jakob Blankenburg.
Er kündigt an, das Gesetz im Parlament nochmal verändern zu wollen. „Für uns ist wichtig, dass wir den Anwendungsbereich von CCS und CCU klar begrenzen auf unvermeidbare Emissionen“, sagt Blankenburg dem Tagesspiegel. Er kritisiert etwa, dass selbst bei neuen Gaskraftwerken es die Möglichkeit gebe, mit CCS-Anlagen deren Laufzeit zu verlängern. „Sie müssen so gebaut werden, dass sie in Zukunft mit Wasserstoff betrieben werden können“, fordert Blankenburg.
Unterstützung erhält Reiche dagegen aus der Union: „Die Entscheidung ist ein Durchbruch für den Industriestandort Deutschland. Jahrelang wurde nur diskutiert, jetzt wird endlich gehandelt“, sagt Tilman Kuban, Wirtschaftspolitiker im Bundestag, dem Tagesspiegel. Reiche sichere mit ihrem Vorschlag Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit und den Umweltschutz.
Katherina Reiche selbst fordert einen Perspektivwechsel: „Ich rate uns, den Blick auf CO₂ zu verändern“, sagt die Ministerin am Mittwoch auf Nachfrage. CO₂ könne auch ein Rohstoff sein, den man verwendbar machen könne, argumentiert sie. Bis es so weit ist, wird sie wohl noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen.