Ankauf Baldung Griens für München: Die flammende Frau

vor 16 Stunden 1

Ist das nun für die Münchner Alte Pinakothek für fünf Millionen Euro aus Privatbesitz angekaufte Gemälde Hans Baldung Griens mit überschaubaren 35 mal 25,5 Zentimetern wirklich sein Geld wert?

Die technischen Daten lesen sich doch erst einmal nüchtern: Baldungs „Maria als Himmelskönigin“ ist auf einer Tafel aus Lindenholz gemalt und undatiert, müsste aber aus stilistischen Gründen zwischen 1516 und 1518 entstanden sein, kurz nach Vollendung seines prestigeträchtigsten Großauftrags, des Hochaltars des Freiburger Münsters mit seinem frechen Selbstbildnis unterhalb der Kreuzigung in grellem Grün, das ihm schon in frühen Jahren den Spitznamen verlieh. Nach Fertigstellung des Monu­men­talaltars kehrte er wieder nach Straß­burg zurück und malte überwiegend für solvente Privatleute. Das Bild ist dabei eine der frühesten Auseinandersetzungen mit dem Thema der Himmelskönigin im Medium der kleinformatigen Tafelmalerei, für einen wohl privaten Auftraggeber als Andachtsbild gefertigt. Wobei der humanistisch gebildete und Griechisch wie Latein beherrschende Baldung, Spross einer Gelehrtenfamilie, nicht einer der verrätseltsten Renaissancekünstler wäre, wenn man den nachträglichen Titel „Maria als Himmelskönigin“ einfach so unhinterfragt stehen lassen könnte.

Stillen bei der Krönung war auch um 1516 ungewöhnlich

Zwar kreist über dem Haupt der flammend rot gewandeten Madonna mit wild wallendem Goldhaar, das die Bewegtheit des Moments anzeigt, vor nachtschwarzem Hintergrund eine Scheibe aus Licht wie in einer Siebzigerjahre-Disco, zwar trägt Maria eine goldene Bügelkrone als Ausweis ihrer Krönung im Himmel, doch fehlt das eigentlich unverzichtbare Krönungspersonal Gottvater, Christus und Heiliger Geist, das Baldung in Form des besonderen Heiligenscheins in Licht sublimiert. Theologisch vertrackter noch, aber typisch für Baldung, der selbst die höchsten Bildstoffe auf den Boden herabholt: Christus ist in einem Zeitsprung als Säugling zugegen, noch als Regina coeli stillt Maria ihr Kind, das gierig mit abgewandtem Köpfchen und geballten Fäusten an der Brust saugt.

Die einzigartige ikonographische Mixtur zweier sehr unterschiedlicher Mariensujets wirkt ein wenig, als würde eine Oscar-Gewinnerin bei der Verleihung auf offener Bühne die Brust entblößen und ihr Baby nähren. Der alte Zwiespalt zwischen menschlicher und göttlicher Natur wird somit in ein und demselben Bild ausgetragen. Ebenso charakteristisch für Baldung, der eine Maria schon einmal mit grünem Papagei auf der Schulter wie eine Piratenbraut aussehen lässt, ist die Sprache der Schleier: Allegorisch ein subtiler Hinweis auf die Jungfräulichkeit der Gottesmutter und das Verleihen von Gewebe an den Gottessohn, verfängt der hauchdünne Schleier sich wie Spinnweben in Krone und Füßchen Christi. Ein flüchtig farbentleerter Grisaille-Engel scheint noch eilends von rechts heranzuschweben, um den verhedderten Schleier etwas zu entzerren. Klar wird: Baldung schuf kurz vor Luther kritische Ikonen für Intellektuelle und konnte sich derartige Unbotmäßigkeiten offenbar wegen der großen Nachfrage nach seinen Bildern nicht nur leisten; sie wurden geradezu sein Markenzeichen.

Baldung sollte endlich gleichberechtigt neben Dürer genannt werden

Schon angesichts dieser thematischen Auffälligkeiten sollte allerdings auch klar sein, wie falsch die meist vorgenommene Einordnung Baldungs als „Dürer-Schüler“ ist. Schon des Malers Geburtsdatum 1484, mithin nur zwölf Jahre nach jenem Dürers, zeigt an, dass seine Rolle als Eleve unzutreffend beschrieben wäre. Vielmehr ist Baldung bei Eintritt in die Nürnberger Werkstatt 1503 bereits fertig ausgebildet und leitet sie in dessen Absenz während der Italienreise, was einer absoluten Vertrauensposition entspricht, war Dürers Atelier damals doch das prestigeträchtigste in Deutschland. Freund, Vertrauter, Malerkollege auf Augenhöhe, all diese Bezeichnungen treffen es genauer.

Die Himmelskönigin besitzt eine illustre Provenienz und war sogar schon in der neuen Welt

Baldungs „Maria als Himmelskönigin“ besitzt eine gut dokumentierte Provenienz. Nachdem es 1907 aus Basler Privatbesitz in das Fürstlich Hohenzollern‘sche Museum in Sigmaringen gelangt war, wurde es 1928 vom jüdischen Lederwarenfabrikanten Robert von Hirsch, einem begeisterten und passionierten Kunstsammler, für dessen Privatsammlung in Frankfurt erworben. Beraten vom damaligen Direktor des Städelschen Kunstinstituts, Georg Swarzenski, trug Robert von Hirsch eine der bedeutendsten Privatsammlungen der Weimarer Republik mit Schwerpunkt auf Kunst und Kunsthandwerk des Mittelalters und der Renaissance zusammen. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gelang es Robert von Hirsch, bereits 1933 nach Basel zu emigrieren, wobei er auch seine Kunstsammlung in die Schweiz ausführen konnte (ein von ihm als Gegenleistung unter Zwang an Hermann Göring abgetretenes Cranach-Gemälde wurde nach Kriegsende an ihn restituiert). Nach seinem Tod im Jahr 1977 wurde, wie testamentarisch bestimmt, die komplette Sammlung Robert von Hirschs 1978 in London versteigert, wobei zahlreiche Werke ihren Weg in die Sammlungen bedeutender deutscher wie internationaler Museen fanden. Nach über dreißig Jahren in einer deutschen Privatsammlung gelangte Baldungs „Maria als Himmelskönigin“ 2012 in amerikanischen Privatbesitz, woher die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen das Gemälde unter Vermittlung des New Yorker Kunsthändlers Nicolas Hall nun erwerben konnten.

Nach den teils eher unrühmlichen Nachrichten aus Münchner Museen in den vergangenen Monaten ist es wohltuend, von der Zusammenarbeit mit der in der Stadt ansässigen Pesl-Stiftung zu hören, die es der Alten Pinakothek von nun an ermöglicht, besonders rare und seit Jahrzehnten für deutsche Museen mit ihren lächerlichen Ankaufsetats nicht mehr finanzierbare Gemälde zur Bereicherung der Sammlung erwerben zu können. Die Stiftung bürgerlichen Rechts wurde 1991 von Rudolf Pesl (gestorben 2022) und seiner Frau Maja Robert-Pesl (gestorben 2008) zur Förderung von Kunst, Kultur und Bildung in Bayern gegründet und verfolgt seit dem Tod des Gründers vor allem diesen hehren Stiftungszweck.

Die frechen Details des Bildes können ab dem 5. Juni im Rahmen der Reihe „Wie Bilder erzählen. Storytelling von Albrecht Altdorfer bis Peter Paul Rubens“ in Saal XII der Alten Pinakothek von Nahem wie auch im Sammlungskontext bewundert werden.

Gesamten Artikel lesen